InDialog 15: Beverley Costa über die Dynamik zwischen Therapeut, Patient und Dolmetscher in psychotherapeutischen Settings

Psychotherapie in der Muttersprache

Beverley Costa praktiziert Psychotherapie mit mehrsprachigen Klienten. Da der Bedarf nach fremdsprachlicher Therapie in einer Metropole wie London groß ist, gründete sie Mothertongue, eine Organisation, der auch öffentliche Gelder zufliessen. Dort können Menschen, die eine Therapie in einer anderen Sprache als Englisch machen möchten, Therapeuten in ihrer Muttersprache finden – oder Therapeuten, die mit Dolmetschern zusammenarbeiten. Sowohl diese Therapeuten, als auch die Dolmetscher sind auf dieses Setting mit besonderen Anforderungen trainiert.

Wie arbeiten monolinguale und multilinguale Therapeuten mit fremdsprachigen Patienten?

Costa verglich die therapeutische Arbeit von mehrsprachigen und einsprachigen Therapeuten und hält die Ergebnisse in diesem sehr lesenswerten Aufsatz fest: Psychotherapy across Languages: beliefs, attitudes and practices of monolingual and multilingual therapists with their multilingual patients. Sie fasst darin zusammen, dass das Teilen der Muttersprache im psychotherapeutischen Setting einen erheblichen Einfluss auf den Zugang zu den Gefühlswelten der Klienten, und somit zum Erfolg der Therapie hat. Denn jede neue Sprache gestaltet einen anderen Selbstentwurf mit ihr eigenen Emotionspalette.

Mithilfe der Beziehungstheorie erklärt Costa, dass in den frühen Jahren die erste Sprache des Kindes, eben die Art und Weise ist, wie es sich von der Mutter trennt und sich zu anderen in Bezug setzt. Daher sind Spracherwerb und die Erfahrung von Trennung unauflöslich miteinander verknüpft. Die Auswahl der Sprachen macht es möglich, Gefühle, die zu schmerzhaft in der einen Sprache sind, abzuspalten und über eine andere Sprache zu kultivieren. Diese Abspaltung kann zur Entfremdung von sich selbst und anderen führen, eventuell jedoch kann auf kreative Art und Weise eine neue Selbsterfahrung formuliert werden.

Mehrsprachige Therapeuten

Es gibt immer mehr Therapeuten mit eigenem Migrationshintergrund. Wenn diese mit ihren Klienten ihre Muttersprache teilen, befinden sie sich in einem ähnlichen Wahrnehmungsraum wie das Kleinkind und seine Bezugsperson. In dieser Vertrautheit sind die Gefühle, Affekte und frühkindlichen Traumata womöglich einfacher zugänglich als in einer Fremdsprache. Der Klient fühlt sich geborgen, ist weniger gestresst und ist froh, dass er nicht alles erklären muss. Die Sitzung ist weniger bedrohlich. Die Therapeutin muss auf die Wahrung ihrer Professionalität achten, denn sie wird Informationen von sich preisgeben, sich zu sehr mit ihm zu identifizieren und eine Kollusion zu riskieren – die therapeutisch wichtige Distanz zum Klienten muss gewahrt werden, damit die Therapeutin ihrem Klienten helfen kann, sein Leben mit einem neuen Blick zu sehen, und nicht mit seinem eigenen.

Einsprachige Therapeuten

Spricht die Therapeutin womöglich nur die Sprache der Mehrheitsgesellschaft, von der sich der Klient unterdrückt fühlt, ist die Situation gezeichnet von Machtgefälle und Isolation. Wenn die Therapeutin der Muttersprache des Klienten Raum gibt, um darin geäußerte Gefühle zuzulassen, riskiert sie die Sicherheit des Klienten. Kann die Therapeutin damit umgehen, bietet diese Konstellation aber auch Vorteile. Costa schlägt vor, den Klienten selbst seine Äußerungen zu übersetzen, und, an anderer Stelle, mit qualifizierten Dolmetschern zu arbeiten. Therapeut und Klient können darüber reflektieren, wie Sprache und Kultur unser Verhalten prägen und aus alten Wahrnehmungsmustern ausbrechen: wir sind nicht an das gefesselt, mit dem wir aufgewachsen sind sondern haben die Möglichkeit zu wählen.

Schlüsselfaktor: Ausbildung der Therapeuten und Dolmetscher

Diese Komplexität der Emotionen und die Mechanismen für den Zugang zu diesen sind wenigen Therapeuten bekannt und werden unterschätzt. Dabei könnten sowohl einsprachige, als auch mehrsprachige Therapeuten effektiv mit fremdsprachigen Klienten arbeiten, wenn sie diesbezüglich aus- bzw. fortgebildet würden. Der Umgang mit Dolmetschern gehört auch dazu.

Therapie mit Dolmetschern

Auf der Inndialog ging Costa auf die Konfliktpotentiale des triadischen Settings in der Therapie ein. Mithilfe des Dramadreiecks, der bewährten Transaktionsanalyse von Steve Karpman unterscheidet sie die Rollen Täter-Opfer-Retter. Therapeut, Klient und Dolmetscher finden sich in diesen Roll220px-Dramadreieck.svgen wieder – während des Settings können sie in diese Rollen hinein und wieder hinausschlüpfen. Konflikte entstehen, wenn unbewußt ungünstige Konstellationen entstehen. Zum Beispiel kann sich der Dolmetscher in der Rolle des Retters wiederfinden. Dann gibt es eine Konkurrenz zwischen Therapeutin und Dolmetscher, denn eigentlich möchte die Therapeutin der Retter des Opfers (in dieser Konstellation der Patient) sein. Für die Therapeutin, die der Sprache ihres Klienten nicht mächtig ist, bedeutet das einen enormen Autoritätsverlust zugunsten des Dolmetschers. Das kann bedeuten, dass der Klient der Therapeutin nur wenig Vertrauen entgegenbringt. Kann die Therapeutin damit nicht bewußt umgehen, also ihren Anteil in der triadischen Interaktion sehen, macht sie den Dolmetscher für diesen Autoritätsverlust verantwortlich. In den Fortbildungen, die Costa für Dolmetscher und Therapeuten anbietet, lernen Therapeuten, einen sicheren Ort frei von Scham zu schaffen, in dem die Interaktion bewußt stattfinden kann. Dolmetscher lernen, den Therapeuten während des Settings auf subtile Art und Weise ihre Autorität wieder zu geben.

Sekundäres Trauma und Supervision für Dolmetscher

Unbedingt sollten Dolmetscher regelmäßig Supervision machen, um sekundäres Trauma zu vermeiden. Sekundäres Trauma kann entstehen, wenn Dolmetscher regelmäßig den Traumata ihrer Kunden ausgesetzt sind und sie übernehmen. Nicht selten kommen die Dolmetscher selbst von einem ähnlichen Erfahrungshintergrund wie ihre Kunden und erleben ihre eigenen Traumata immer wieder. Abgesehen davon, dass Dolmetscher sich Supervisionen erst einmal leisten können müssen, können viele von ihnen zunächst nichts mit Supervision anfangen. Denn sie kommen aus einer Kultur, in der Sigmund Freud und seine Couch keinen gebührenden Ort der Heilung darstellen. Die gesellschaftlich geschaffenen Strukturen zur Überwindung von Traumata gestalten sich kulturell unterschiedlich. Also sucht Costa nach alternativen Settings und narrativen Techniken, die als Supervision dienen können. Eine Alternative ist kreatives Schreiben. Beverley Costa stellte 2015 ein Buch mit dem Titel In Other Words zusammen aus den Erzählungen ihrer Dolmetscher, die innerhalb von Sitzungen für therapeutisches Schreiben entstanden sind.

In Other Words

Wenn man sich für therapeutisches Schreiben als Supervisionsalternative für Dolmetscher interessiert, dann lohnt es sich, alle Geschichten zu lesen.  Einige Geschichten von den Dolmetscherinnen Zoe, Guida, Kamaljit und Joanna sind wahrhafte Perlen, kaum anderswo  zu finden. Sie schreiben über Wortwechsel und Dolmetschsituationen, die eigentlich unter ihre Schweigepflicht fallen, und die Gedanken und Gefühle, die die Dolmetscherinnen während ihres Einsatzes haben. Costa räumt die Schweigepflicht in ihrem Vorwort ein, hebt aber hervor, dass alle betroffenen Personen anonymisiert wurden und führt höhere Werte als den Schutz der Privatsphäre für die Veröffentlichung der Geschichten an. Die Geschichten zeigen den realen  Alltag der Dolmetscherinnen. Die folgende greife ich als Beispiel auf. Guida wird zu einem „runden Tisch“, so  auch der Titel, geladen, an dem sieben britische von Amtswegen beteiligte Personen und eine Immigrantin sitzen. Die sieben nehmen an, dass die Immigrantin kein Interesse an ihrem Sohn hat aufgrund ihrer Passivität in dem von ihnen geleiteten Verfahren und kündigen an, ihn zur Adoption freizugeben. Die Dolmetscherin merkt während des Gespräches, dass die Situation aufgrund kultureller Unkenntnis beider Seiten derart verfahren ist, dass das von niemandem bevorzugte Ergebnis, eine Tragödie für die Immigrantenfamilie unabwendbar scheint. In der Geschichte legt die Dolmetscherin offen, wie sehr sie mit sich ringt, ob sie entgegen ihrer Ehrenordnung die Situation kommentieren soll, nachdem die Immigrantin den Raum verlassen hat. Sie tut es schliesslich: Ihrer Ansicht nach erwarte man von der Immigrantin aktive Beteiligung an einem Verfahren, obwohl sie in ihrer Kultur gelernt habe, dass man protestlos das tue, was Autoritäten von jemandem verlangten. Sie arrangierten Besprechungen ohne Dolmetscher mit der Folge, dass die Mutter völlig verunsichert sei, ob sie das, was von ihr erwartet würde, auch richtig verstanden habe. Ausserdem zwängen sie sie dazu, mit ihrem Sohn auf Englisch zu interagieren (damit die Sozialarbeiterin, die immer dabei ist, alles verstehen könne), obwohl sie die Sprache kaum spräche, geschweige denn auf Englisch einer emotionalen Mutter-Kind Bindung Ausdruck  verleihen könne. Darüberhinaus verhinderten sie, dass der Sohn die Sprache der Eltern erlerne. So trügen sie aus kulturellem Unverständnis zu einem von ihnen selbst nicht gewünschten Ergebnis bei. Die Dolmetscherin weiss nicht, ob das, was sie gesagt hat, nachvollzogen werden konnte, als sie den Raum und das Setting verlässt. Sie nimmt an, dass sie nie erfahren wird, wie es in diesem Fall weitergeht und ob ihre Intervention gut war.

Ich habe dieses Beispiel ausgewählt, weil ich selbst als Gebärdensprachdolmetscherin genau dieser Art von kultureller Innsensitivität und Dilemma oft begegnet bin. Aber auch die anderen Geschichten sind mir bekannt, auch der alltägliche emotionale Stress. Ich empfinde es als Trost, sie zu lesen und zu wissen, dass sie auch anderen Menschen, die nicht selbst dolmetschen zur Verfügung stehen und vermitteln, was in unserer Zwischenwelt vorgeht. Ich denke, die Geschichten tragen dazu bei, für den Umgang mit Dolmetschern in Settings, aber auch allgemein für den Umgang in einem multikulturellen Setting miteinander zu sensibilisieren.

Das Buch „In Other Words“ verschickt Beverley Costa auf Anforderung als Pdf. Ihre Email ist: info@mothertongue.org.uk

Oya Ataman

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