Psychotherapie in der Muttersprache
Beverley Costa praktiziert Psychotherapie mit mehrsprachigen Klienten. Da der Bedarf nach fremdsprachlicher Therapie in einer Metropole wie London groß ist, gründete sie Mothertongue, eine Organisation, der auch öffentliche Gelder zufliessen. Dort können Menschen, die eine Therapie in einer anderen Sprache als Englisch machen möchten, Therapeuten in ihrer Muttersprache finden – oder Therapeuten, die mit Dolmetschern zusammenarbeiten. Sowohl diese Therapeuten, als auch die Dolmetscher sind auf dieses Setting mit besonderen Anforderungen trainiert.
Wie arbeiten monolinguale und multilinguale Therapeuten mit fremdsprachigen Patienten?
Costa verglich die therapeutische Arbeit von mehrsprachigen und einsprachigen Therapeuten und hält die Ergebnisse in diesem sehr lesenswerten Aufsatz fest: Psychotherapy across Languages: beliefs, attitudes and practices of monolingual and multilingual therapists with their multilingual patients. Sie fasst darin zusammen, dass das Teilen der Muttersprache im psychotherapeutischen Setting einen erheblichen Einfluss auf den Zugang zu den Gefühlswelten der Klienten, und somit zum Erfolg der Therapie hat. Denn jede neue Sprache gestaltet einen anderen Selbstentwurf mit ihr eigenen Emotionspalette.
Mithilfe der Beziehungstheorie erklärt Costa, dass in den frühen Jahren die erste Sprache des Kindes, eben die Art und Weise ist, wie es sich von der Mutter trennt und sich zu anderen in Bezug setzt. Daher sind Spracherwerb und die Erfahrung von Trennung unauflöslich miteinander verknüpft. Die Auswahl der Sprachen macht es möglich, Gefühle, die zu schmerzhaft in der einen Sprache sind, abzuspalten und über eine andere Sprache zu kultivieren. Diese Abspaltung kann zur Entfremdung von sich selbst und anderen führen, eventuell jedoch kann auf kreative Art und Weise eine neue Selbsterfahrung formuliert werden.
Mehrsprachige Therapeuten
Es gibt immer mehr Therapeuten mit eigenem Migrationshintergrund. Wenn diese mit ihren Klienten ihre Muttersprache teilen, befinden sie sich in einem ähnlichen Wahrnehmungsraum wie das Kleinkind und seine Bezugsperson. In dieser Vertrautheit sind die Gefühle, Affekte und frühkindlichen Traumata womöglich einfacher zugänglich als in einer Fremdsprache. Der Klient fühlt sich geborgen, ist weniger gestresst und ist froh, dass er nicht alles erklären muss. Die Sitzung ist weniger bedrohlich. Die Therapeutin muss auf die Wahrung ihrer Professionalität achten, denn sie wird Informationen von sich preisgeben, sich zu sehr mit ihm zu identifizieren und eine Kollusion zu riskieren – die therapeutisch wichtige Distanz zum Klienten muss gewahrt werden, damit die Therapeutin ihrem Klienten helfen kann, sein Leben mit einem neuen Blick zu sehen, und nicht mit seinem eigenen.
Einsprachige Therapeuten
Spricht die Therapeutin womöglich nur die Sprache der Mehrheitsgesellschaft, von der sich der Klient unterdrückt fühlt, ist die Situation gezeichnet von Machtgefälle und Isolation. Wenn die Therapeutin der Muttersprache des Klienten Raum gibt, um darin geäußerte Gefühle zuzulassen, riskiert sie die Sicherheit des Klienten. Kann die Therapeutin damit umgehen, bietet diese Konstellation aber auch Vorteile. Costa schlägt vor, den Klienten selbst seine Äußerungen zu übersetzen, und, an anderer Stelle, mit qualifizierten Dolmetschern zu arbeiten. Therapeut und Klient können darüber reflektieren, wie Sprache und Kultur unser Verhalten prägen und aus alten Wahrnehmungsmustern ausbrechen: wir sind nicht an das gefesselt, mit dem wir aufgewachsen sind sondern haben die Möglichkeit zu wählen.
Schlüsselfaktor: Ausbildung der Therapeuten und Dolmetscher
Diese Komplexität der Emotionen und die Mechanismen für den Zugang zu diesen sind wenigen Therapeuten bekannt und werden unterschätzt. Dabei könnten sowohl einsprachige, als auch mehrsprachige Therapeuten effektiv mit fremdsprachigen Klienten arbeiten, wenn sie diesbezüglich aus- bzw. fortgebildet würden. Der Umgang mit Dolmetschern gehört auch dazu.
Therapie mit Dolmetschern
Auf der Inndialog ging Costa auf die Konfliktpotentiale des triadischen Settings in der Therapie ein. Mithilfe des Dramadreiecks, der bewährten Transaktionsanalyse von Steve Karpman unterscheidet sie die Rollen Täter-Opfer-Retter. Therapeut, Klient und Dolmetscher finden sich in diesen Roll
en wieder – während des Settings können sie in diese Rollen hinein und wieder hinausschlüpfen. Konflikte entstehen, wenn unbewußt ungünstige Konstellationen entstehen. Zum Beispiel kann sich der Dolmetscher in der Rolle des Retters wiederfinden. Dann gibt es eine Konkurrenz zwischen Therapeutin und Dolmetscher, denn eigentlich möchte die Therapeutin der Retter des Opfers (in dieser Konstellation der Patient) sein. Für die Therapeutin, die der Sprache ihres Klienten nicht mächtig ist, bedeutet das einen enormen Autoritätsverlust zugunsten des Dolmetschers. Das kann bedeuten, dass der Klient der Therapeutin nur wenig Vertrauen entgegenbringt. Kann die Therapeutin damit nicht bewußt umgehen, also ihren Anteil in der triadischen Interaktion sehen, macht sie den Dolmetscher für diesen Autoritätsverlust verantwortlich. In den Fortbildungen, die Costa für Dolmetscher und Therapeuten anbietet, lernen Therapeuten, einen sicheren Ort frei von Scham zu schaffen, in dem die Interaktion bewußt stattfinden kann. Dolmetscher lernen, den Therapeuten während des Settings auf subtile Art und Weise ihre Autorität wieder zu geben.
Unbedingt sollten Dolmetscher regelmäßig Supervision machen, um sekundäres Trauma zu vermeiden. Sekundäres Trauma kann entstehen, wenn Dolmetscher regelmäßig den Traumata ihrer Kunden ausgesetzt sind und sie übernehmen. Nicht selten kommen die Dolmetscher selbst von einem ähnlichen Erfahrungshintergrund wie ihre Kunden und erleben ihre eigenen Traumata immer wieder. Abgesehen davon, dass Dolmetscher sich Supervisionen erst einmal leisten können müssen, können viele von ihnen zunächst nichts mit Supervision anfangen. Denn sie kommen aus einer Kultur, in der Sigmund Freud und seine Couch keinen gebührenden Ort der Heilung darstellen. Die gesellschaftlich geschaffenen Strukturen zur Überwindung von Traumata gestalten sich kulturell unterschiedlich. Also sucht Costa nach alternativen Settings und narrativen Techniken, die als Supervision dienen können. Eine Alternative ist kreatives Schreiben. Beverley Costa stellte 2015 ein Buch mit dem Titel In Other Words zusammen aus den Erzählungen ihrer Dolmetscher, die innerhalb von Sitzungen für therapeutisches Schreiben entstanden sind.